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Zum WM-Aus
„…irgendwie ist es schön - nur so zu treiben - vorm Untergehen - ja, irgendwie ist es schön - die Sterne von unten zu sehen….“ Der aus dem Radio, im trendigen Leck-mich-am-Arsch-Sound ertönende Yukno-Song steht in den deutschen Playlists ganz weit oben und trifft offenbar das vorherrschende Lebensgefühl.
Fußballinteressierte werden den Hit eher nicht wahrnehmen, er läuft in anderen Blasen. Wobei, es ist ziemlich egal, in welcher Blase man sich bewegt. Die auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu beobachtenden deutschen Auflösungserscheinungen sind kaum zu übersehen. Sie werden nur unterschiedlich interpretiert. Sie zu verändern, gar zu verhindern, fällt niemandem mehr ein. Und so windet sich nun auch Fußballdeutschland zwischen Sarkasmus und Schmerz. Selten ist die Faktenlage so eindeutig und gnadenlos wie in Fußballstatistiken.
Einige Tage zuvor zeigte sich Monika Maron als sensible Beobachterin des Zeitgeschehens irritiert, als sich irgendwo in ihr plötzlich ein Rest Freude über das gelungene kämpferische Spiel der Deutschen gegen Spanien einstellte. Eine Bindung, die sie längst erkaltet wähnte. Sehr wahrscheinlich ging es einer Mehrheit im Fußballland Deutschland ganz ähnlich. Man weiss nicht so recht wohin mit seinen patriotischen Gefühlen. Aber das Aufbegehren kam ein Spiel zu spät. Deutschland ist immer zu spät. Seien wir ehrlich - Bilder eines feiernden Weltmeisters Deutschland kann sich heute niemand mehr vorstellen.
Dabei ist der Zustand der deutschen Nationalelf noch deutlich besser als der Zustand des Landes, das sie repräsentiert. Die einzelnen Spieler spielen in hochdotierten internationalen Clubs, sind sportlich, taktisch, mental, medizinisch, ernährungstechnisch längst zu teuren Hochleistungsmaschinen gereift, so dass die rechnerische Summe der Einzelteile allemal erfolgreich sein müsste. Die Protagonisten sind schnell, technisch auf der Höhe, auch wenn uns Superstars vom Format Modric-Messi-Mbappé-De Bruyne oder Haaland fehlen. Dem sportlichen Potential nach gehört Deutschlands Auswahl dennoch zu den acht besten Teams der Welt. In der Weltrangliste dümpeln wir aber seit zehn Jahren irgendwo zwischen Platz Elf und Fünfundzwanzig herum und haben nun zum zweiten Mal nach 2018 sogar die Runde der letzten sechszehn verpasst.
Der Blick in die Länderspielannalen zeigt noch mehr - seit acht Jahren gelingt gegen keine der großen Fußballnationen mehr ein überzeugender Sieg. Regelmäßig gibt es in wichtigen Spielen derbe Klatschen und ebenso regelmäßig gelingt es selbst Fußballzwergen, Deutschland vor unlösbare sportliche Probleme zu stellen. Nordmazedonien, Ungarn, Japan. Mindestens Dreiviertel der deutschen Länderspiele in diesem Zeitraum ließen Fußballkenner ratlos zurück. Immer öfter hagelt es nach Einladungen des Bundestrainers zu Länderspielen Absagen der Auserwählten. Zu hoch das Verletzungsrisiko und viel zu gering der Prestigegewinn. Warum? Warum dieser Widerspruch?
Man könnte einiges anführen. Auch Sportliches. In einer übergewichtigen und selbstzufriedenen Gesellschaft gibt es zu wenige Straßenkicker. Das ist eine Hypothek, die nachwirkt. Der konsequente Aufbau von Leistungszentren - nicht ganz unlogisch in einer Gesellschaft, die Leistung grundsätzlich geringschätzt - erfolgte erst, als das Dilemma in den Ergebnissen lange sichtbar geworden war. Ungeachtet dessen hatte sich ein nahezu bedingungsloses Grundeinkommen bis in die untersten Ligen ausgebreitet, was den Leistungsgedanken weiter konterkarierte. Mit Jogi Löw wurde einem zusehends uninspirierten zweitklassigen Sachverwalter mindestens fünf Jahre zu lang beim Herumtesten mit einer kaum noch motivierten Mannschaft zugesehen. Ewige technokratische Debatten über Dreierketten und falsche Neuner ersetzten das Nachdenken über die relevanten Wurzeln des Erfolgs. Und auch dem sympathischen, aber stets kleinlauten Hansi Flick traut man derzeit kaum noch zu, mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen, wenn es nötig erscheint.
Die intakten sozialen Aufstiegsambitionen vieler Migrantenkinder überdecken die Defizite im deutschen Fußball. Da nimmt man illegale Einreisen, unklare Herkunftsnachweise und offensichtlich falsche Altersangaben gern in Kauf. Ohne die Frischzellenkur aus aller Welt stünde es um den deutschen Leistungssport generell noch sehr viel schlechter als ohnehin. Aber einer Nationalmannschaft hilft das eben wenig.
Mit sportlichen und strategischen Defiziten allein lässt sich der anhaltende Misserfolg der Nationalmannschaft der letzten Jahre aber keineswegs erklären. Auch der bei der WM in Katar nicht. Keine Mannschaft hat bei der WM so oft aufs gegnerische Tor geschossen. Im Dutzend trafen Drehschüsse den Pfosten oder strichen um Zentimeter daran vorbei. Dreimal Alu allein gestern und dann noch ein KO-Tor, das fiel, als ein Japaner im Parallelspiel mit letzter Kraftanstrengung einen Ball aus dem Grundlinien-Aus kratzte und zur Torvorlage werden ließ. Pech also?
Nein, was auffällt - verbal und vor allem körpersprachlich: Es ist es erschreckend leise auf dem Rasen. Es fehlt die Leidenschaft. Kein sich Anschreien. Kein spürbares Miteinander. Kein Gestikulieren. Kein Kahnsche Kung Fu Einlage. Kein Kampf. Keine Eier. Ein irrlichternder Fremdkörper namens Müller versucht vorn Fäden zu ziehen. Aber es gelingt ihm nicht. Es fehlen Köpfe, Regisseure, Kettenhunde. Es fehlt der gemeinsame unbedingte Wille, das über sich Hinauswachsen, das Momentum. Daher immer wieder die wackligen Spiele. Auch nach dem Aus gestern - kaum Emotionen. Dafür leere Blicke und ein beklagtes Abstraktum namens Effizienz. Das muss reichen. Deutsche weinen nicht. Sie analysieren mit Akribie ihre Niederlagen. Aber sie verstehen sie nicht.
Für Deutschland auflaufen zu müssen ist ambivalent. Die deutsche Identität ist zum Dauerproblem geworden. Die Fahne ist kaum noch irgendwo sichtbar. Die Hymne wird bestenfalls noch verdruckst intoniert. Die Nation fühlt sich ihrer Schuld und einer selbst auferlegten Verantwortung als Oberlehrer verpflichtet und betrachtet Nationalspieler als Missionare des Guten. Medien fordern mit manischer Penetranz, dass Zeichen in die Welt gesandt werden. Bunt, integrativ, inklusiv, gendergerecht, solidarisch soll er sein der Spieler. Eine von Medien gehypte, bescheuerte One-Love-Binde beanspruchte wochenlang die öffentliche Debatte und Konzentration als die nunmehr schönste und wichtigste Nebensache der Welt. Auf jede öffentlich sichtbare Geste war hochnotpeinlich zu achten. Nicht nur vor dem Anpfiff, auch nach dem Abpfiff halten sich Spieler inzwischen die Hand vor den Mund und zischeln durch die Finger. Denn vieles kann nicht mehr gesagt werden, ohne dass es einen hernach wochenlang in die Schlagzeilen bringt oder gar die ganze Karriere versaut. Die Spieler lernen in internen Erziehungsmaßnahmen - ein falsches Wort, eine abgelehnte Impfung, irgendeine dem Zeitgeist widersprechende Nähe…und du bist raus. Wenn sich heute Spieler zum Interview einfinden, ertönen nach den jeweiligen journalistischen Steilvorlagen die immer gleichen sinnentleerten Briefings der Kommunikationstrainer: „Ich freue mich für die Mannschaft. Von Spiel zu Spiel zu Spiel denken. Hab noch Vertrag. Haltung zeigen. Zeichen setzen…!“ Die Maschinerie unter medialem Dauerdruck hat sich ihre stromlinienförmigen, knienden, Binden tragenden und Plattitüden leiernden Stellvertreter erzogen. In dieser bleiernen Atmosphäre kann kein Mannschaftsgeist zustande kommen.
Und da liegt für mich der Schäferhund begraben. Denn die erneuerbaren Energien für die entscheidenden Momente liegen im gefühlten Rückhalt einer Nation. Einem Nationalstolz, den wir nicht mehr haben dürfen, denn alles Nationale wurde jahrelang zum Anachronismus erklärt. Bei einer Meisterschaft der NATIONAL-Mannschaften aber, wo aus der Zugehörigkeit zu einer gefühlten Kulturgemeinschaft die letzten so wichtigen Prozente gekitzelt werden, ist eine belastete, beschädigte und geleugnete Identität einfach nicht zu kompensieren. Bewusst oder unbewusst.
Fußballfelder ersetzen Schlachtfelder. Sie befriedigen die alten Triebe. Das Sehnen nach glorreichem Sieg, Stolz, Ruhm, Ehre. Dem Drang, die Kontrahenten niederzuringen und eine neue Hierarchie im zuvor Gleichen herzustellen. Eine jubelnde Siegernation Deutschland passt seit langem schon nicht mehr in unser Selbstverständnis der kultivierten Unterwerfung. Wir haben kollektiv die Freude am Gewinnen verloren. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass uns damit zugleich das Verlieren zur zweiten Natur geworden ist.
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